‚Karma in Dharma umwandeln – von Krishna und Arjuna lernen‘ ergänzt die Betrachtungen über Arjuna und Krishna, wie wir sie im Juni 2024 beschrieben haben. Der erste Artikel konzentriert sich auf Bhakti, die Hingabe an das Göttliche. In diesem Text geht es darum, wie wir durch bewusste Lenkung unserer inneren Kräfte unser Dharma erkennen und leben können. Er knüpft an Arjunas Lebenskrise an und zeigt, wie wir aus dem Kreislauf des Karmas ausbrechen können.
Das Mahabharata und die Bhagavad Gita
Das Mahabharata ist eines der ältesten und umfangreichsten Epen der Menschheit. Es erzählt die Geschichte zweier verfeindeter Familien, der Pandavas und der Kauravas, deren Konflikt schließlich in einer großen Schlacht gipfelt. Mittendrin steht Arjuna, der sich zwischen Pflicht und moralischen Zweifeln hin- und hergerissen fühlt.
Die Bhagavad Gita ist ein zentraler Teil des Mahabharata und enthält den tiefgründigen Dialog zwischen Krishna und Arjuna. Sie gilt als eines der bedeutendsten Weisheitswerke der Weltliteratur, da sie zeitlose spirituelle Prinzipien vermittelt. Krishna offenbart Arjuna die Essenz von Dharma, Karma und Yoga und zeigt ihm, wie er im Einklang mit dem höchsten Bewusstsein handeln kann.
Was ist Karma, was ist Dharma?
Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung – jede Handlung, jeder Gedanke, jedes Gefühl hinterlässt eine Spur und formt unsere Zukunft. Es ist nicht nur das, was uns aus der Vergangenheit prägt, sondern auch das, was wir in jedem Moment erschaffen. Wenn wir unbewusst handeln, folgen wir den Mustern des Karmas und wiederholen die immer gleichen Erfahrungen.
Dharma hingegen ist der Weg der bewussten Orientierung. Es ist nicht nur eine Pflicht oder eine moralische Regel, sondern der individuelle Lebensweg, der sich entfaltet, wenn wir im Einklang mit unserer innersten Wahrheit handeln. Während Karma oft als Last der Vergangenheit empfunden wird, ist Dharma die Entscheidung, unser Leben bewusst und sinnvoll zu gestalten.
Arjunas Karma ist es, zu einer bestimmten Zeit geboren zu werden und in einen Kampf verwickelt zu werden, in dem er gegen seine eigenen Freunde und Verwandten kämpfen muss. Er kann dieser Situation nicht entkommen, denn sie ist das Ergebnis seiner Geburt, seiner Herkunft und der politischen Umstände. Doch aus Karma kann Dharma werden – indem Arjuna erkennt, dass dies seine Aufgabe ist, und sie bewusst annimmt. Nur wenn er seine innere Zerrissenheit überwindet und seine Rolle als Krieger annimmt, kann er mit Klarheit handeln.
Richte dein Herz auf deine Arbeit, aber niemals auf ihren Verdienst. Arbeite nicht für einen Verdienst; aber beende auch niemals deine Arbeit. ~Bhagavad Gita
Die Kräfte, die uns lenken

In der Bhagavad Gita steht Arjunas Streitwagen für seinen Körper und die fünf Pferde werden als Sinne interpretiert – doch die Pferde sind mehr als das. Sie sind die Kräfte, die uns antreiben: unsere Gedanken, die zu Wünschen werden, unsere Sehnsüchte, unsere Ängste und unsere tiefsten Emotionen. Sie sind unser Antrieb, aber auch die Quelle unserer Unruhe.
Wenn diese Kräfte ungezügelt sind, ziehen sie uns in verschiedene Richtungen. Unsere Gedanken springen von einem Wunsch zum anderen, unsere Gefühle überwältigen uns, unsere Ängste halten uns zurück. Lassen wir die Pferde laufen, wie sie wollen, erschaffen wir Karma. Wenn wir jedoch lernen, die Zügel in die Hand zu nehmen – nicht durch Kontrolle, sondern durch bewusste Führung – können wir diese Kräfte nutzen, um unser Dharma zu leben.
Herausforderungen

Uns Menschen geht es wie Arjuna: Immer wieder geraten wir in Situationen, in denen wir keine Lösung sehen. Sie fordern uns heraus, zwingen uns, unsere Komfortzone zu verlassen und lassen uns zweifeln. Aber nicht jede Herausforderung ist unser Karma oder Dharma. Manchmal können wir loslassen, wenn der Kampf nicht unser Kampf ist. Aber es gibt Situationen, denen wir uns stellen müssen. In diesen Momenten brauchen wir einen inneren Wagenlenker, jemanden, der uns mit Weisheit begleitet, ohne uns den Kampf abzunehmen. Krishna ist diese Kraft – nicht als jemand, der unsere Last trägt, sondern als Wegweiser, der uns lehrt, selbst zu tragen, was getragen werden muss.
Purnavatar und übergeordnete Instanz
Krishna ist die vollkommene Manifestation des höchsten Bewusstseins – ein Purnavatar. Er ist kein Lehrer im üblichen Sinne, sondern die unmittelbare Verkörperung der kosmischen Wahrheit. In der Bhagavad Gita steht Krishna für das universale Bewusstsein, das den Menschen zur Selbsterkenntnis führt. Er nimmt Arjuna nicht den Kampf ab, sondern lehrt ihn, seine eigene Kraft zu erkennen und seine Aufgabe mit Klarheit und Hingabe zu erfüllen. Als göttlicher Wagenlenker symbolisiert Krishna die innere Führung, die immer da ist – wenn wir bereit sind, ihr zu folgen.
Wenn ein Mensch erkennt, dass er selbst Brahman ist, dann ist sein Verstand fest und alle Täuschung ist von ihm gewichen. Wenn Freude kommt, ist er unbeweglich, und wenn Leid kommt, ist er auch unbeweglich. Er ist nicht von äußerlichen Dingen gefesselt; in sich selbst erfreut er sich des Glückes. Seine Seele ist eins mit Brahman. So erfreut er sich ewiger Glückseligkeit. ~ Bhagavad Gita
Dharma: Der Weg der bewussten Ausrichtung
Dharma ist nicht nur eine Pflicht oder eine moralische Regel. Es ist der innere Kompass, der uns zeigt, wozu wir wirklich hier sind. Krishna lehrt Arjuna, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg hat – und dass es besser ist, seinen eigenen, unvollkommenen Weg zu gehen, als den eines anderen perfekt zu kopieren.
Wie aber erkennen wir unser Dharma? Indem wir still werden und beobachten, was uns wirklich antreibt. Sind es Ängste oder echte Inspiration? Sind es die Erwartungen der Gesellschaft oder unser innerster Ruf? Dharma erkennen bedeutet, aus dem Automatismus des Karmas auszubrechen und bewusst den eigenen Weg zu wählen..
Reaktion und bewusste Handlung

Meist reagieren wir aus Gewohnheit: Ein Gedanke kommt auf, wir folgen ihm. Ein Gefühl steigt auf, es bestimmt unser Handeln. Doch Krishna zeigt Arjuna, dass es auch anders geht: Handeln ohne Anhaftung. Das bedeutet, bewusst zu wählen, wie wir mit unseren Gedanken und Gefühlen umgehen – sie wahrzunehmen, ohne uns von ihnen beherrschen zu lassen.
Das ist auch der Kern des Kundalini Yoga. Durch Atemtechniken und Meditation lernen wir, nicht impulsiv zu reagieren, sondern bewusst zu agieren. Wir setzen unsere innere Energie gezielt ein, anstatt uns von ihr überwältigen zu lassen. Mantras wie „Ong Namo Guru Dev Namo“ helfen, den Geist auszurichten und Klarheit zu gewinnen.
Eine gute Balance finden
Krishna lehrt Arjuna nicht, seine Gefühle zu unterdrücken oder seine Gedanken zu ignorieren. Vielmehr geht es um die Balance zwischen Führung und Hingabe. Wenn wir die Zügel zu fest anziehen, verlieren wir unsere Lebendigkeit. Sind sie zu locker, werden wir von äußeren Einflüssen getrieben.
Diese Balance ist entscheidend, um Karma in Dharma zu verwandeln. Es bedeutet, bewusst zu handeln, aber nicht an den Ergebnissen festzuhalten. Es bedeutet, seinen Weg mit Hingabe zu gehen, aber sich nicht von Ängsten blockieren zu lassen.
Bewusst leben

Arjuna zeigt uns, dass Zweifel und Krisen nicht das Ende, sondern der Anfang tiefer Erkenntnis sind. Krishna lehrt, dass Transformation nicht durch Kontrolle, sondern durch bewusste Lenkung geschieht. Wenn wir unsere inneren Kräfte – unsere Gedanken, Emotionen und Wünsche – bewusst lenken, können wir aus dem Kreislauf des Karmas aussteigen und unser Dharma wirklich leben. Die Zügel liegen in unseren Händen – es liegt an uns, sie mit Klarheit und Mut zu führen.
Während der klassische Zugang zur Bhagavad Gita die göttliche Gnade betont, ergänzt dieser Artikel diese Sichtweise, indem er die individuelle Verantwortung für den eigenen Weg hervorhebt. Beide Perspektiven sind wertvoll – sie zeigen, dass sowohl Vertrauen als auch bewusstes Handeln notwendig sind, um wahre innere Freiheit zu erlangen.
Manche erkennen das Selbst in sich selbst durch das Praktizieren der Meditation, manche durch den Pfad der Weisheit, und wieder andere durch selbstlosen Dienst. Andere kennen vielleicht diese Wege nicht; wenn sie aber die Anweisungen eines erleuchteten Lehrers hören und ihm folgen, dann schreiten auch sie über den Tod hinweg. ~ Bhagavad Gita