Kundalini Yoga: Vom Nutzen des Zweifels

Der Zweifel ist für viele Yoginis und Yogis ein wohlbekanntes Gefühl. Er ist verknüpft mit einem unangenehmen Zustand der Zerrissenheit. Man beginnt damit, sich selbst und seine Umgebung kritisch zu hinterfragen und sich auszubremsen. Man kann an allem zweifeln, an seinen Zielen und Werten, an seinen Beziehungen und an sich selbst. Hat der Zweifel einen größeren Nutzen? Für die Antwort muss man das Phänomen des Zweifelns genauer betrachten.

Zweifel – was ist das eigentlich?

Das Wort Zweifel lässt sich zum Mittelhochdeutschen ‚zwîvel’, dem dem Althochdeutschen ‚zwîval’ und dem Germanischen ‚twîfla’ zurückverfolgen. Der Begriff hat die Bedeutung ‚doppelt, gespalten, zweifach, zwiefältig‘. Das englische Wort für Zweifel ‚doubt’ rührt vom Lateinischen ‚dubium’ her. Wortbedeutung/Definition: 1.) der Zweifel, 2.) die Gefahr

Der Duden definiert Zweifel als Bedenken beziehungsweise schwankende Ungewissheit darüber, ob man etwas glauben soll oder ob etwas richtig ist. Zweifeln kann man an allem – man kann Selbstzweifel hegen, seine Umgebung oder Beziehungen aller Art anzweifeln. Das eigene Verhalten oder die Fähigkeiten können bezweifelt werden. Der Zweifel macht keineswegs halt vor Werten und vor dem, was man glaubt. Einige zweifeln gar am Sinn des Lebens.

Wie Zweifel entstehen

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Wahrnehmungen sind als Gedanken einzustufen, die mit einer Bewertung verbunden sind.  Zwischen unterschiedlichen Wahrnehmungen können Konflikte (Dissonanzen) entstehen.  Jeder dieser Konflikte wird als Belastung empfunden und möchte entweder vermieden oder überwunden werden. Kurz gesagt: Zweifel entstehen, wenn ein/e EntscheiderIn verschiedene Wahrnehmungen hegt, die scheinbar nicht miteinander vereinbar sind. Das daraus resultierende negative Gefühl kann sehr belastend sein.

Liebe, Gaube, Hoffnung – drei Fallbeispiele

Die Hochzeit

Eine Frau steht kurz vor ihrer Hochzeit und zweifelt plötzlich an ihrer Entscheidung für den Ehemann in spe.  Sie empfindet die negativen Gefühle und Gedanken als belastend. Die Braut hat mehrere Möglichkeiten, mit ihren Zweifeln umzugehen. Sie kann diese unter Umständen aufzulösen, indem sie die Zweifel verdrängt. Möglicherweise erlebt sie das Hochzeitsfest mit gemischten Gefühlen. Vielleicht lässt sie die belastende Wahrnehmung jedoch zu und spricht ihre Zweifel aus. Womöglich sagt sie die Hochzeit spontan ab.

Das Yogastudio

Ein Mann hat sich dazu entschieden, ein Yogastudio zu eröffnen. Insgeheim zweifelt er an seinen Fähigkeiten. Der Yogalehrer hat das Gefühl, er sei der Selbstständigkeit möglicherweise nicht gewachsen. Er hat mehrere Möglichkeiten, sich mit den zweifelnden Gefühlen und Gedanken zu beschäftigen. Er kann sie aussprechen und sich beraten lassen, er kann den Zweifel verdrängen oder den Traum vom eigenen Studio ad acta legen.

Der Glaube

Eine Frau mittleren Alters zweifelt an ihrem Glauben, die daraus resultierenden Gedanken sind schmerzhaft.  Die Buddhistin stellt ihr ganzes Leben infrage und Buddhafiguren in ihrer Wohnung stören sie. Die Dame kann sich kaum noch zu den sonntäglichen Gruppenmeditationen aufraffen. Sie mag die buddhistischen Texte nicht rezitieren und weiß nicht mehr, ob  die Patimokha (277 Lebensregeln der buddhistischen Mönche und Nonnen) angemessen ist.

Auch die Buddhistin hat mehrere Möglichkeiten mit dem Umgang mit ihren sich widersprechenden Gefühlen. In Glaubenskontexten wird oftmals empfohlen, die Zweifel nicht zu beachten. Die Frau kann ihre Zweifel also verdrängen. Ebenso kann sie ihre inneren Widersprüche zulassen, sich mit jemandem besprechen und das Für und Wider beleuchten. Auf diese Weise kann sie einen individuellen Umgang mit ihren Wahrnehmungen und Gefühlen finden.

Negative Auswirkungen des Zweifels

Wer grundsätzlich alles infrage stellt, ist immer nur mit halbem Herzen bei der Sache und hat es schwer sich zu entscheiden. Er bezieht keine feste Position und bleibt auf der Zuschauerbank des Lebens. Menschen, die sich selbst anzweifeln, machen sich kleiner als sie sind und können in eine Abwärtsspirale geraten. Einige Menschen sind regelrecht geplagt von Zweifeln: wie Parasiten nagen sie an ihnen – und gehen nicht weg. Selbstzweifel gelten als einer der Risikofaktoren für Depressionen.

Der Zweifel hat einen großen Nutzen

Eine Überzeugung macht ruhig und zufrieden, ein Zweifel  bringt das Gehirn aus seiner Balance und erzeugt Unbehagen. Wenn man das Zweifeln verbietet, dann kann ein System nicht hinterfragt werden. Der Zweifel hat eine wichtige Rolle, weil er allein das Denken in Bewegung hält. Ohne Zweifeln ist keine Erkenntnis und keine Entwicklung möglich.

Jede Fortbildung, die ein Mensch besucht, ist durch den Zweifel an den eigenen Fähigkeiten motiviert. Wenn man etwas Neues lernen will, dann ist die erste echte Lernstufe immer verbunden mit kognitiver Dissonanz. Althergebrachtes wird infrage gestellt, ich öffne mich für Neues und bin bereit, neue Fähigkeiten und Überzeugungen zu integrieren. Hinterfragen, revidieren, neu justieren – selbst in der Wissenschaft geht es nicht ohne den Zweifel. Er ist die Grundlage zur Entwicklung von robusten Forschungsergebnissen.

Die Walt Disney Strategie – der Zweifel hat einen großen Nutzen

Auch im Beruf ist eine gesunde und konstruktiv genutzte Skepsis ein Karrieremotor und kann beim Ausbau der eigenen Reputation hilfreich sein. Walt Disney galt als einer der erfolgreichsten und kreativsten Personen seiner Zeit. Er nutzte den Zweifel für seine Kreativität-Methode zur Entwicklung neuer Projekte. Die Teams durften  enthusiastisch träumen und anschließend in aller Ruhe Arbeitspläne entwickeln. Das Endprodukt wurde angezweifelt, kritisiert und auf Schwachstellen hin abgeklopft.  So konnten mögliche Fehlerquellen identifiziert und eliminiert werden.

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„Unmöglich“, sagt dein Herz.

„Zu viel Risiko“, sagt deine Erfahrung.

„Sinnlos“, sagen die Zweifel.

„Versuchs trotzdem“, flüstert dein Herz.

(Unbekannt)

Zweifeln ohne zu verzweifeln

Der Zweifel wirkt zwar bremsend und andererseits hat der Zweifel einen großen Nutzen! Er ist wie ein guter Freund, der uns vor möglichen Gefahren warnt. Der Zweifel ist die mahnende innere Stimme, die sagt: Hast du dir das wirklich gut überlegt? Die unendlichen, offenen, weiten Seelenkräfte benötigen einen begrenzenden Schutz, denn die Gesetze von Gut und Böse, Licht und Schatten sind unerbittlich.

Die Lehren des Kundalini Yogas besagen, dass wir drei innere Helferanteile haben. Der Erste betrachtet die Situation kritisch, der Zweite sieht nur das Positive und der Dritte wägt die negativen und positiven Aspekte ab. So kann ein ausgewogenes Urteil gefällt werden. Menschen, die niemals zweifeln, gehen eventuell unangemessene, selbstzerstörerische Beziehungen ein. Es kann sein, dass sie auf geschäftlicher Ebene immer wieder Enttäuschungen erleben, weil sie möglichen Risiken keine Beachtung schenken.

Vom Umgang mit Zweifeln

  • Wehre dich nicht gegen das Zweifeln. Lasse den Zweifel zu, denn er hat möglicherweise einen großen Nutzen. Betrachte ihn, aber identifiziere dich nicht mit dem Gefühl. Der Zweifel drückt einen Aspekt aus, dem du bisher nicht genügend Beachtung geschenkt hast.
  • Nimm eine andere Perspektive ein und betrachte das Positive der Situation und deines Weges. Wäge zwischen den negativen und positiven Gesichtspunkten ab und finde deinen Weg.
  • Entscheide dich für deinen Weg, du musst dich nicht sofort entscheiden. Lass dir Zeit! Lasse dich von deiner inneren Klarheit, deiner Freude, deinem Mut leiten.

Pranayama für geistige Balance

Die Ausstrahlung einer Person hängt von der Klarheit ihrer Aura ab. Dieses wird wiederum bestimmt von der Ausgeglichenheit der linken (Mond) und rechten (Sonne) Körper- und Gehirnhälften. Die Atemübung wirkt ausgleichend und ermöglicht es dem Geist, Zweifel zu integrieren. Der Geist geht durch viele Stadien und Zustände. Er erzeugt ständig die Gedankenwellen, die du benötigst, um mit der Welt in Beziehung zu treten. Meditationen können den Fluss der Gedanken beruhigen. Du kannst nicht verhindern, dass Gedanken produziert werden, aber du kannst deine Beziehung zu ihnen verändern.

Anweisung:
  • Setze dich in den Schneidersitz mit aufgerichteter Wirbelsäule.
  • Die Augen sind geöffnet und blicken geradeaus.
  • Die Arme sind gestreckt, die Hände liegen in Gyan Mudra auf den Knien.
  • Atme fünf Sekunden lang ein. Halte den Atem zehn Sekunden lang an und atme fünf Sekunden lang aus.
  • Beginne mit diesem Rhythmus und erhöhe die Atemzeit allmählich auf zehn Sekunden einatmen, fünfzehn Sekunden anhalten und zehn Sekunden ausatmen.
  • Meditiere auf das Ein- und Ausströmen des Atems.   

3 Gedanken zu „Kundalini Yoga: Vom Nutzen des Zweifels

  1. Ferdinand

    Für die Spiritualität hat mir Descartes methodischer Zweifel geholfen. „Cogito ergo sum“ – „Ich denke, also bin ich.“. Alles Andere kann man anzweifeln, am besten methodisch und positiv. Eines bleibt: die eigene Existenz.

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  2. Maeggi Weiland

    Liebe Sat Hari Kaur
    Danke für den schönen Artikel.
    Er öffnet mein Herz.
    Und ich hab ihn weitergeleitet an meine Tochter, die oft Zweifel quälen.
    Und an eine Freundin.
    Zweifel begleiten uns ein Leben lang.
    Und z.Zt. bin ich durch Corona echt wieder nah an der Sinnfrage. Da helfen mir dann immer die wunderbar klären Worte von Viktor Frankl. Das das Leben selbst Sinn erfüllt ist, wir unseren Sinn jedoch immer neu finden müssen.
    Z.Zt. höre und lese ich viel von Prof Jordan Peterson Uni Toronto. Der erinnert mich in seiner Klarheit an Viktor Frankl. Und könnte dir auch gefallen.
    Ich lese gerade sein Buch „12 Rules for Life „.
    Ganz liebe Grüße
    Und danke für alles, was du mir schenkst.
    Maeggi

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    1. Sat Hari Kaur Beitragsautor

      Liebe Maeggi,
      ich danke dir für dein schönes und bereicherndes Feedback.
      Ich schätze Viktor Frankl ebenfalls und habe daher vor genau einem
      Jahr einen Artikel zum Thema Sinn geschrieben: https://yogablog.3ho.de/ueber-den-sinn/
      Zweifel und Sinnfindung gehören zum Leben dazu und bereichern es letztendlich.
      Ich freue mich über den Tipp bezüglich Prof. Jordan Peterson. Ich freue mich!
      Herzliche Grüße
      Sat Hari Kaur

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