Haben oder Leuchten, Kundalini Yoga

Haben und Leuchten

Haben und Leuchten sind wie zwei Wege, die sich vor uns auftun: Der eine führt nach außen zu den Dingen, der andere nach innen zum Sein. Wenn wir die Augen schließen und einen Augenblick lang still werden, können wir manchmal hören, wie die Welt in uns widerhallt: das Drängen in den Straßen, das Rufen der Propagandatafeln, das ungeduldige Flüstern der Dinge, die uns versprechen, dass wir glücklich wären, wenn wir sie nur besitzen würden. Doch es ist, als würde man in der Wüste einem Trugbild folgen. Je näher wir ihm kommen, desto weiter entfernt es sich und zurückbleibt nur der Staub auf den Lippen. Solange der Mensch innen leer ist, findet er nach außen greifend keinen Halt.

Es wächst der Hunger nach Sinn

Darum ist unsere Zeit so müde geworden. Wir haben gelernt, Schränke zu füllen und Speicher zu überhäufen, doch in unseren Herzen bleibt eine Wüste zurück. Menschen sammeln wie Getriebene, und doch wächst in ihnen der Hunger nach Sinn. Und wenn dieser Hunger nicht gestillt wird, verwandelt er sich in Bitterkeit, Misstrauen und Zorn. Ganze Gesellschaften geraten unter Spannung, wie ein Seil, das zu lange überlastet ist: Es ächzt und knirscht und reißt schließlich. So können entstehen Feindschaften entstehen, so entzündet sich Gewalt, so brennen Städte und Beziehungen. Es ist das Aufbegehren der Seelen, die vergessen haben, dass sie unendlich sind.

Doch, so sagen die Weisen, in jedem Menschen glüht ein Funken des Göttlichen. Wie in der tiefsten Nacht ein Stern am Himmel, so ist in jedem Gesicht – auch in einem verschlossenen oder verzweifelten – ein Abbild jener Hand zu finden, die uns geformt hat. „Wenn du Gott nicht in allem sehen kannst, wirst du ihn überhaupt nicht sehen“ – dies ist kein poetischer Satz, sondern ein Schlüssel. Denn wenn ich beginne, im anderen nicht nur den Konkurrenten, den Fremden oder den Bedrohlichen zu sehen, sondern ein Wesen, das dasselbe Licht in sich trägt wie ich, dann verwandelt sich mein Blick: Aus Abwehr wird Verständnis, aus Härte wird Mitgefühl und aus Abgrenzung wird eine leise Ahnung von Gemeinschaft.

Kundalini Yoga unterstützt Sinn

Kundalini-Yoga will nichts anderes, als diese Verwandlung zu unterstützen. Es ist kein Spiel der Eitelkeiten, keine Bühne, auf der man sich selbst groß inszeniert. Er ist vielmehr ein Garten, in dem die Seele wieder zu atmen lernt. Mit jedem bewussten Atemzug wird die Erde gelockert, mit jeder Bewegung ein Samen berührt und mit jedem stillen Moment ein Sonnenstrahl eingelassen. So kann das aufbrechen, was längst da ist: die Erfahrung, dass wir vollständig sind, dass wir in der Tiefe unzerstörbar sind und nicht getrennt, sondern miteinander verwoben sind.

Transformation geschieht nicht mit einem Schlag, so wenig wie der Frühling über Nacht entsteht. Sie geschieht im Unscheinbaren, im Wiederholen und im stillen Ausharren. Sie geschieht, wenn wir den Mut haben, den Blick nach innen zu richten und auszuhalten, dass dort Leere ist. So können wir entdecken, dass gerade in dieser Leere das Geheimnis wohnt. Transformation geschieht, wenn wir aufhören, uns im Spiegel unserer Vergleiche zu verzehren, und beginnen, uns in den Augen eines anderen wiederzufinden.

Meditation in der Sonne in Gebetshaltung, klarer Geist
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Für jene, die glauben, dass „haben“ eine höchst natürliche Kategorie innerhalb der menschlichen Existenz ist, mag es überraschend sein, wenn sie erfahren, dass es in vielen Sprachen kein Wort für „haben“ gibt.
Erich Fromm

Haben und Leuchten – so findest du Frieden

So wie die Erde ihre Vulkane beruhigt, wenn ihre Schichten im Einklang sind, und das Meer zur Ruhe kommt, wenn der Sturm nachlässt, so kann auch die Seele Frieden finden. Und dieser Friede ist keine abstrakte Idee. Er ist erfahrbar: im Atem, der ruhig und tief fließt. Du spürst ihn im Herzen, das sich wärmt, wenn du einem Menschen mit Güte begegnest. Du nimmst Frieden in der Gewissheit wahr, dass wir von etwas Größerem als unserem Verstand getragen sind.

Vielleicht ist dies das größte Geschenk: zu begreifen, dass unser Leben nicht darin besteht, Dinge zu besitzen, sondern zu leuchten. Jeder Mensch trägt eine kleine Sonne in der Brust. Sie strahlt nicht, weil wir sie mit Geld oder Ruhm „füttern”, sondern weil wir sie nicht länger verdecken. Wenn diese Sonne leuchtet, wird die Welt heller – nicht nur für uns selbst, sondern auch für alle, die uns begegnen.

Am Ende bleibt die einfache Wahrheit: Der Weg der Transformation beginnt dort, wo wir still werden und atmen. Er führt durch die Täler von Konsum und Spannung hindurch. Der Weg zeigt uns, dass wir mehr sind als das, was wir besitzen, und größer als das, was uns trennt. In der Tiefe sind wir Ausdruck derselben Liebe, derselben Quelle, derselben Unendlichkeit. Wenn wir das erkennen, wird aus Kampf Gemeinschaft, aus Leere Erfüllung und aus unserem Leben ein Lied, das nicht verstummt.

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