Narzissmus und Yoga

Narzissmus und Yoga meint, dass echte Selbstliebe heilsam ist und alle davon profitieren  können. Echter Narzissmus hingegen ist zerstörerisch, scheint aber ein Zeichen unserer Zeit zu sein. Das offenbart sich in unter anderem durch selbstverliebte und eitle Führungseliten in Politik und Wirtschaft. Es ist allgemein bekannt, dass Narzissten Bewunderung suchen und daher ein Hinterfragen ihrer Person als ungeheure Kränkung empfinden. Das macht Narzissten unberechenbar in ihren Reaktionen.

Was ist Narzissmus

Narziss (Gyula Benczúr, 1881, Ungarische Nationalgalerie, Budapest)

Als Narzissten bezeichnet man jemanden, der unter übertriebener Selbstverliebtheit leidet. Narzissten verlangt es nach steter Bewunderung. Narziss, der schöne Sohn des griechischen Flussgottes Kephissos und der Leiriope, wies die Liebe anderer zurück, da er schon unsterblich verliebt war – in sein eigenes Spiegelbild! Sigmund Freud hat den Begriff Narzissmus in die Psychotherapie eingeführt. Er ging davon aus, dass alle Kinder während ihrer frühen Jahre auf sich selbst fixiert seien, da sie zwischen Subjekt und Objekt nicht unterscheiden könnten.

Sigmund Freud hat dieses Phänomen den ‚primären Narzissmus’ genannt. Im Laufe der gesunden Kindheit entwickelt sich das soziale Selbst des Menschen und er erkennt, dass außer ihm auch andere Wesen existieren. Der Mensch wird wahrhaft empathiefähig. Der sogenannte sekundäre Narzissmus zeigt sich im Erwachsenenalter. Weil sein Selbstwertgefühl schlecht ist, kann es sein, dass ein Mensch mehr und mehr beginnt, sich auf sich selbst zu fixieren und nur die eigenen Erfolge und Gefühle wahrzunehmen. Im Volksmund gibt es hierfür den Ausdruck ‚Geltungssucht’.

Typische Merkmale von Narzissten

Bezeichnend für Narzissten ist, dass sie sich besonders wichtig nehmen, sich überlegen oder einzigartig fühlen, sie sind von ihrer Grandiosität überzeugt. Ein echter Narzisst kann mit Kritik nicht umgehen, es kann sogar sein, dass er/sie unbeherrscht auf ein Feedback reagiert, das ihm/ihr nicht gefällt und als kränkend empfunden wird. Manchmal stellen sich nach einer Kritik Gefühle von starker Niedergeschlagenheit und depressiver Verstimmung ein. Diese Merkmale wechseln sich mit einer auffälligen Selbstbewunderung, einer übersteigerten Eitelkeit und einem übertriebenen Selbstbewusstsein nach außen hin ab.
Charakteristisch für Narzissten ist, dass sie sich nicht in andere Menschen hineinversetzen können: Narzissten sind unfähig, die Sichtweisen anderer Personen zu verstehen und zu akzeptieren.

Mögliche Ursachen für den Narzissmus

Mögliche Ursachen narzisstischer Störungen können bestimmte elterliche Erziehungsmuster oder familiäre Konstellationen sein. Wenn Eltern zum Beispiel kaum auf ihr Kind eingegangen sind oder ein Kind in der Geschwisterfolge nur sehr wenig wahrgenommen wurde, kann es sein, dass es sich im späteren Leben einzig auf seine Erfolge fokussiert und diese überall und ständig hervorheben muss. Aber auch zu hohe Anforderungen, etwa übertrieben starke Bevorzugungen in der Kindheit oder eine übermäßige Leistungsfokussierung durch die Eltern, kann das Gefühl entstehen lassen, selbst wenig wert zu sein.

Narzissmus in unserer Gesellschaft

Wenn man in der heutigen Zeit erfolgreich sein möchte, dann benötigt man durchaus gewisse narzisstische Eigenschaften. In einer Studie der Universität Leipzig wurde herausgefunden: Studenten, die besonders narzisstisch waren, bekamen in einer beobachteten Testsituation die höchsten Punktzahlen. Ihr selbstbewusstes Auftreten war den Kommilitonen demnach alles andere als unsympathisch – beim ersten Kennenlernen schindeten die Narzissten besonders viel Eindruck.

Narzissten sind oft in den Chefetagen zu finden, da Narzissten ihre Natur gemäß von ihrer Großartigkeit überzeugt sind. Sie haben Charisma, sind oftmals eloquente Redner und können in ihrem Größenwahn Visionen entwickeln, die es vermögen, andere mitzureißen. Forscher der University of Illinois fanden in einer Narzissmusstudie heraus: Um die Karriereleiter zu erklimmen, ist Narzissmus sehr hilfreich. Studienleiterin Grijalva liefert die Erklärung: „Narzissten punkten vor allem mit ihrer Extrovertiertheit. Sie haben die Gabe, beim ersten Treffen zu glänzen. Damit sind sie im Vorstellungsgespräch ganz klar im Vorteil.“ (Spiegel online, 24.01.2014)

Narzissmus versus Selbstliebe

Ein Mensch kann eine akzentuierte narzisstische Persönlichkeit entwickeln, wenn er sich so wenig mag, dass sich an ihm eine übertriebene Selbstbezogenheit und eine scheinbare Selbstverliebtheit zeigt. Im Kern aber ist das Gefühl des Selbstwerts und der Selbstwürde schwach ausgebildet, sodass sich stufenweise ein übertriebener Egoismus herausbildet, der die Mitmenschen ausgegrenzt und Partnerschaften nur möglich macht, wenn man dem Narzissten bedingungslos ergeben ist. Ausgeprägte Narzissten empfinden keine Empathie.

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Selbstliebe hingegen bedeutet, dass ein Mensch mit seinem Inneren in Liebe verbunden ist, dass er/sie ein Gefühl für seine/ihre Würde entwickelt hat, dass er/sie ein tiefes Empfinden dafür hat, dass er/sie um seiner/ihrer selbst Willen bedeutsam, wichtig und wertvoll ist. Solch ein Mensch kann Mitgefühl mit anderen Geschöpfen entwickeln und ist mit seiner Umwelt in Resonanz.

Um meine Würde unantastbar zu machen, muss ich sie schützen können, wenn jemand versucht, sie zu verletzen. Dazu brauche ich eine Vorstellung, was diese eigene Würde ausmacht. Sie ist also ein zentraler Bestandteil meines Selbstbildes, hilft mir, mich an dem zu orientieren, was für ein Mensch ich sein möchte, eben wie ein innerer Kompass, der mir Orientierung bietet, damit ich mich bei meiner Lebensgestaltung nicht verirre.

~ Gerald Hüther

Narzissmus und Yoga

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Wir Yoginis und Yogis hören recht häufig den Spruch: „Werde dein Ego los.“ Wir kennen sogar eine Übung namens „Ego-Eradictor“. Mit diesem etwas unglücklichen Namen ist nicht gemeint, dass der Yogaübende eine gefahrvolle Ich-Auflösung herbeiführen soll, sondern dass er mithilfe dieser Übung seine Selbstbezogenheit und seinen Narzissmus wahrnehmen und auflösen kann. Die Innenschau eines Yogis ist nicht der Selbstbespiegelung geschuldet, sondern sie dient der inneren Ruhe und dem inneren Frieden, stärkt den inneren Zeugen und unterstützt die Verarbeitung von Erlebnissen. So kann ein Yogi letztlich achtsamer und offener mit seiner Umgebung umgehen.

Einerseits sind in der Yogaszene viele Menschen zu finden, die, vielleicht durch Lebenskrisen oder eine hohe Sensibilität bedingt, auf der Suche nach Heilung und nach sich selbst sind,  andererseits tummeln sich auch Narzissten in den unterschiedlichen Yogarichtungen.  Diesen Personen geht es nicht primär darum, den Yogaweg als Pfad zur Erkenntnis zu nutzen, sondern die Übungen, die Meditationen und die Mityogis als Mittel  und Bühne zur Selbstdarstellung zu gebrauchen.

Narzisstische Yogalehrer

Da narzisstische Yogalehrer oftmals sehr charismatisch sind und ein selbstbewusstes Auftreten haben,  mangelt es ihnen nicht an ergebenen Schülern und Schülerinnen, die ein beschädigtes Selbstbild haben, eine hohe Sensibilität besitzen, oftmals hilfsbereit sind und aufgrund ihrer Fähigkeit zur Empathie über Unstimmigkeiten im Auftritt eines Narzissten hinwegschauen. Wie erkennt man einen Narzissten? Das ist nicht leicht zu beantworten. Vielleicht ist es wichtig, sich im Vorfeld selbstkritisch und ehrlich folgende Fragen beantworten:

  • Was zieht mich zu dieser Person hin?
  • Fühle ich mich von ihrer Macht, von ihrem Auftreten, von ihrer Klugheit, ihrem Humor oder von ihren Ideen angezogen?
  • Ist es eine primär physische Anziehung, emotionale Erregung, intellektuelle Anregung oder eine intuitive Resonanz, die mich zu ihm zieht?
  • Warum vertraue ich ihm oder ihr mehr, als mir selbst? Was gebe ich auf?
  • Vermittelt diese Person einen inneren Frieden oder wirkt er eher hypnotisierend auf mich?
  • Welche Struktur herrscht in der Gemeinschaft vor?
  • Lässt der Lehrer es zu, dass um seine Gunst gebuhlt wird?
  • Wie geht er oder sie mit Konkurrenz innerhalb seiner Gemeinschaft um?
  • Müssen die Teilnehmer gegen ihre eigenen ethischen Vorstellungen handeln, um ihre Loyalität ihm oder ihr gegenüber zu beweisen? (Quelle: Yoga aktuell)

Alles, was man tun kann, ist zu versuchen, sich diesen Fragen so offen wie möglich zu stellen, und die eigene Urteilsfähigkeit und das eigene kritische Bewusstsein gegenüber Lehrern und Lehrerinnen zu fördern.

Selbstliebe lernen

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Echte Selbstliebe ist heilsam und alle  können profitieren. Sei dir selbst ein guter Freund beziehungsweise eine gute Freundin. Schenke dir selbst ein Lächeln und verzeihe dir deine Fehler, ohne dass du deine Schattenseiten verleugnest. Habe Mitgefühl mit dir selbst, so wie du auch Mitgefühl mit anderen hast. Von Jesus Christus stammt die Aussage: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ In dieser wunderbaren Aussage sind Selbstliebe und Empathiefähigkeit zu einem großen Ganzen zusammengefasst, das eine funktioniert nicht ohne das andere.

Liebe ist meine letzte Chance im Leben. Es ist wichtig, dass ich zuerst beginne, mein eigenes Bewusstsein zu lieben und meinen eigenen Charakter. Ich darf meine Eigentümlichkeiten zu lieben beginnen und meine eigene Würde. Es ist gut, wenn ich lerne, meine eigenen Ausmaße zu lieben. Es gibt so viele Dinge, die ich erst an mir selbst lieben sollte, bevor ich dich wirklich lieben kann.

~ Yogi Bhajan

Beitragsbild: Echo und Narziss (John William Waterhouse, 1903, Walker Art Gallery, Liverpool)

Ein Gedanke zu „Narzissmus und Yoga

  1. Kira

    Ich hatte eine Weiterbildung bei einem Sampoorna Yogalehrer (Brahmadev), der in Amerika lebt und ab und an nach Deutschland kommt, um Workshops und Weiterbildungen anzubieten. Dieser Yogalehrer hat seinen ganz eigenen Stil und ich wurde grundausgebildet bei einer anderen Sampoorna Yogalehrerin. Dass er diesen Stil auf alle Fälle bei seinen Schülern wiederfinden will, hat er mir nicht vorher gesagt, ansonsten hätte ich mich vorbereitet oder wäre gar nicht hingefahren. Bei der Vorstellung wurde ich von ihm quasi vor der Gruppe schroff unterbrochen mit der Begründung ich bräuchte halt noch Übung. Er ließ auch zu, dass ein Mitschüler mich offen beleidigte. Ich war total niedergeschlagen, habe sogar geweint, und da merkte ich, wie dieser Mensch unfähig zur Empathie ist. Auch konnte er nicht ertragen, wenn man seine Thesen in Frage stellte. Von Gruppendynamik und Gruppenarbeit hatte er meiner Meinung nach wenig Ahnung. Er hat ein großes Fachwissen, das er gerne präsentiert. Am liebsten waren ihm die Schüler und Schülerinnen, die ihn wie einen Gott anbeteten. Bei der Verabschiedung dieser Weiterbildung sagte er zu mir, ich solle wiederkommen (ich denke, nicht mich wollte er wiedersehen, sondern das Geld; die Gebühr für eine solche Weiterbildung ist kostspielig). Die ganze Zeit war er genervt von der Fragerei von Schülern, auch ich stellte sehr häufig Fragen. Er wollte, dass man alles bedingungslos annimmt, was er sagt. Oft erzählte er, wie toll sein Leben sei und wie alles fantastisch für ihn läuft; er hätte ja auch gutes Karma. Irgendwann aber sagte er vor uns: „Ich muss arbeiten wie ein Schwein; ich würde mich lieber den ganzen Tag mit meinen Kindern beschäftigen“…und das von einem Yogalehrer, der gerade vor uns sitzt und was für sein Geld tun muss! Von seinen Schülern und Schülerinnen verlangte er, dass man ihm „Kundschaft“ bringt!
    Gott sei Dank habe ich dies alles rechtzeitig gemerkt und diesen Narzissten aus meinem Leben gestrichen.

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