Yoga: Weisheit ist gesünder als Konkurrenz

Weisheit gesünder ist als Konkurrenz – der weise Umgang mit den Mitmenschen, wenn alle das Gleiche erreichen wollen, schont die Nerven und verursacht weniger Stress. Das Wort Konkurrenz ist dem lateinischen Concurrere entlehnt. Es bedeutet  „zusammenlaufen“, „um die Wette laufen“ und  „in Wettstreit treten“. Die Wortbedeutung lässt klar erkennen, worum es geht. Menschen, Unternehmen, ja, ganze Nationen wetteifern miteinander, wenn sie konkurrieren. Konkurrenz setzt voraus, dass nicht alle gleichzeitig, sondern nur eine Person oder eine Gruppe gewinnen kann. Daher wird der andere als direkter Gegner gesehen, den es zu besiegen gilt.

Dabei können sportliche Regeln gelten, zwei Kollegen konkurrieren um eine Beförderung, mehrere Bewerberinnen wetteifern um einen begehrten Arbeitsplatz, es wird um die beste Präsentation gekämpft. Die Regeln sind transparent, die Wettkampfgegner sind dazu angehalten, fair miteinander umzugehen.

Beispiel aus der Yogawelt:

Weisheit ist gesünder als Konkurrenz: die Prüfung

Der Sikhguru Amar Das bat seine beiden Schwiegersöhne, eine Bühne für das Unterrichten zu erbauen. Die bessere Arbeit sollte gewinnen und dem Sieger Ehre zuteil werden. Jeder der Männer baute eine gute, solide Plattform. Der Guru betrachtete die Bühnen kritisch und schüttelte missbilligend den Kopf.

Der erste Schwiegersohn war stolz auf seine Arbeit und enttäuscht darüber, dass der Guru mäkelnd eine neue Bühne forderte. Der Schwiegersohn zerstörte sein Werk jedoch und baute eine noch schönere Plattform für den Schwiegervater. Wieder war der Guru unzufrieden. Der erste Schwiegersohn weigerte sich dieses Mal jedoch, die Bühne erneut abzureißen und sie ein drittes Mal aufzubauen.

Dem zweiten Schwiegersohn erging es genau wie dem ersten. Sein Werk war solide, gut und ansehnlich. Dem Guru gefiel es nicht und er forderte Abriss und Neubau der Plattform. Der zweite Schwiegersohn zerstörte die Bühne und baute eine neue. Als diese fertig war, sagte der Guru, dass er auch damit nicht zufrieden sei und forderte, die Arbeit noch einmal zu machen.

Ohne Murren arbeitete dieser Schwiegersohn Tag und Nacht, bis er die Plattform zum dritten Mal fertiggestellt hatte. Der Guru bemängelte die Arbeit erneut. Der Schwiegersohn riss die Bühne insgesamt sieben Mal ab und baute sie genauso oft wieder auf.  Endlich gab sich der Guru zufrieden, sagte, dass er Demut, Geduld, Ausdauer und Hingabe geprüft habe und dass sein zweiter Schwiegersohn den Wettkampf gewonnen habe. Er ernannte diesen Schwiegersohn zu seinem Nachfolger. Fortan trug dieser den Namen Guru Ram Das.

Konkurrenz kann sich in verbissene Rivalität verwandeln, die aggressiv auf Verdrängung ausgelegt ist. Die Grenzen sind verschwommen, sportliche Wettkämpfer können zu erbitterten Gegnern werden.

Beispiel aus der Yogawelt:

Weisheit ist gesünder als Konkurrenz: die Gegnerschaft

Die ersten Ausbilder einer Yogini, so erzählte sie mir, seien  von Neid und Konkurrenzkampf zerfressen gewesen. Sie haben grundsätzlich über andere Studios geschimpft, alle schlecht gemacht und andere Stile bemängelt („die Yogatreibenden der Richtung X sind nur flexibel , aber sie haben keine Spiritualität“). Schockiert  brach sie die Ausbildung ab und suchte  sich ein neues Ausbildungszentrum. Sie versteht heute, dass eine Studioeröffnung mit einem großen Druck einhergehen kann. In ihrer Stadt existieren fünfzig Studios, die um Schülerinnen konkurrieren.           

Weisheit ist gesünder als Konkurrenz: Umgang mit Konkurrenz

Jeder Mensch hat eine ganz individuelle Weise, mit Konkurrenz umzugehen. Einige gehen offen mit ihren Konkurrenten um, der sportliche Charakter überwiegt. Anderen widerstrebt der offene Zweikampf, weshalb Jobs mit zu viel Konkurrenz gemieden werden. Wieder andere zeigen ihren Konkurrenzdruck nicht und gehen versteckt gegen Kontrahenten vor. Hier wird mit Gemeinheiten und heimlichen Intrigen gearbeitet, um den begehrten Platz an der Sonne zu ergattern.

Immer.

Ein Gedicht von Robert Gernhardt

„Immer einer behender als du

Du kriechst

Er geht

Du gehst

Er läuft

Du läufst

Er fliegt:

Einer immer noch behender.“

Weisheit ist gesünder als Konkurrenz: Konkurrenz in Flora und Fauna

Aus Beobachtungen von Affenpopulationen weiß man, dass die dominanten Tiere bei Stress wie zum Beispiel Nahrungsknappheit einen Vorteil auf Kosten der schwächeren Mitglieder der Gruppe haben. Nehmen ranghöhere Tiere mehr oder hochwertigere Nahrung auf, können sie sich auch erfolgreicher fortpflanzen. Auch Bäume konkurrieren miteinander um Licht und Wurzelreich.

Weisheit ist gesünder als Konkurrenz: Konkurrenz in der Bibel

Image by klimkin from Pixabay

Schon die Kinder Adams und Evas kannten die Rivalität. Kain und Abel buhlten um die Gunst Gottes,  dieser war Abel scheinbar freundlicher gesonnen und bevorzugte ihn. Da schlug Kain seinen Bruder Abel tot. Die Bibel ist durchzogen von Konkurrenzgeschichten, von Geschwisterneid, Bruderzwist und weiblicher Rivalität. Der Gott des alten Testaments setzte Konkurrenten in die Welt. Im neuen Testament reflektiert Jesus die Rivalität seiner Jünger.  Seine Jünger konkurrieren miteinander, jeder will in der Nähe sitzen. Jesus ist der Meinung, man solle sich zum niedrigsten Dienern der Schar machen und nicht versuchen, die anderen zu überragen.

Koexistenz und Kooperation – Weisheit statt Konkurrenz

Die Potentiale eines Menschen und einer Gruppe können sich nicht entfalten, wenn jeder gegen jeden kämpft und ein gnadenloser Wettbewerb herrscht. Dem Hirnforscher Gerald Hüther nach könne der Mensch seine wahren Potenziale nur in Gemeinschaft mit anderen entfalten. Dafür müssen sich diese als Subjekte begegnen. Wenn das möglich sei, dann könne eine Gemeinschaft erblühen. 

„Denn am Anfang unseres Lebens, als wir klein waren, waren wir ja Subjekte“, sagte Hüther in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur.

„Wenn Sie sich an Zeiten erinnern, wo Sie noch kleiner waren, also zum Beispiel als  ein kleiner Junge, da haben Sie doch nicht einen mittelmäßigen Turm mit den Bauklötzen bauen wollen, sondern Sie wollten einen richtig hohen Turm bauen, und nicht, um den höher zu bauen als andere, sondern für sich selbst.“

Hüther nach ist jedes Wesen, so auch der Mensch, auf intrinsische Höchstleistung gepolt. Die Motivation ist eingeboren. Wenn der Mensch von Eltern, Schule und Berufsausbildung durch Notenvergabe und andauernde Kritik auf Konkurrenz gepolt wird, dann verliert der Mensch seine innenliegende Motivation. Das Leben wird ein dauernder Kampf gegen andere und letztendlich gegen sich selbst.  

Weise ist es, die Einzigartigkeit eines Jeden anzuerkennen und zu fördern. So kann der/die Einzelne seine/ihre besonderen Begabungen und Talente in eine Gruppe einbringen. Die Natur macht es uns vor. Bienen zeigen uns, wie Kooperation funktioniert. Sie interagieren wie ein einziger Organismus.  Koexistenz ist ein Begriff aus der Ökologie für das Überleben zweier miteinander lebender Arten im gleichen Lebensraum. In offenen Systemen der Natur ist Koexistenz übrigens die Regel, der Ausschluss durch Konkurrenz die Ausnahme! 

Weisheit ist gesünder als Konkurrenz – Konkurrenzverhalten in Miteinander verwandeln

Konkurrenzverhalten ist ein Stress-Programm für den Notfall. Viel weiser ist es, Talente zu entdecken, zu pflegen und diese zur eigenen Freude und zum Wohle aller einzusetzen. Kundalini Yoga und Bewegung stärkt Körper, Geist und Seele, Meditationen können die Fähigkeit ausbauen, andere Perspektiven einzunehmen, mit den Techniken der gewaltfreien Kommunikation können eigene Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer wahrgenommen werden. Wenn jemand über Gebühr eifersüchtig ist, neidisch auf die Errungenschaften anderer schaut und ein starkes Konkurrenzgebaren zeigt, dann kann möglicherweise eine Therapie helfen, die Ursachen für das übertriebene Verhalten herauszufinden. Die Sutren des Wassermannzeitalters beschreiben das Kooperative: Erkenne, der andere bist du und verstehe die Welt durch Mitgefühl.

Der Artikel wurde im Kundalini Yoga Journal, Ausgabe 41, Juli 2021, veröffentlicht.

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